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BEGEGNUNG 2.07. - 23.07.2023

 
KUNST IM ALTEN SPRITZENHAUS E.V.
Kunstverein Bahlingen a.K.

Finissage am 23. Juli, Simone Rosenow von 15-18 Uhr anwesend

Einführung: Dr. Heike Piehler, Kunsthistorikerin

Öffnungszeiten während der Ausstellungen: Samstag 15-17 Uhr, Sonntag 11-13 Uhr / 15-17 Uhr

KUNST IM ALTEN SPRITZENHAUS E.V.
Kunstverein Bahlingen a.K.

BEGEGNUNG | 02.07. – 23.07.2023
Zur Eröffnung der Ausstellung am Sonntag, den 02. Juli 2023
um 11.00 Uhr, oder zu einem späteren Besuch, laden wir Sie und Ihre Freunde herzlich ein.
Einführung: Frau Dr. Heike Piehler
Öffnungszeiten: Samstag 15.00 – 17.00 Uhr
Sonntag 11.00 – 13.00 Uhr
15.00 – 17.00 Uhr
Am Sonntag den 23.07. ist die Künstlerin ab 15 Uhr anwesend.

Kunst im Alten Spritzenhaus e.V. | Kapellenstraße 16 | D-79353 Bahlingen a. K.
www.kunstverein-bahlingen.de


Simone Rosenow | Begegnung Zeichnung und Malerei
Kunstverein Bahlingen a. K. | Kunst im Alten Spritzenhaus e.V. Einführung zur Vernissage am 02.07.2023
von Dr. Heike Piehler


Liebe Freundinnen und Freunde der Kunst,
die Malereien von Simone Rosenow sind leicht, erscheinen mitunter geradezu schwerelos vor den charaktervollen Wänden des Spritzenhauses. Transparente, locker gesetzte Pinsel-spuren scheinen über die weiße Fläche zu schweben und innerhalb des Bildfeldes aufeinan-der zu treffen. Genau darum geht es ihr: Begegnung, diesen Titel hat sie der Ausstellung ge-geben.
Wir begegnen den abstrakten Werken, und wir begegnen der Künstlerin durch diese Werke. Denn die Bilder erzählen vieles, auch von ihr. Blicken wir auf die große zweiteilige Arbeit Traumhalbheiten (Nr. 8) von 2020, die vor den lockeren und helleren Bildern entstanden ist. Es war die Zeit von Corona, die für so viele Künstlerinnen und Künstler eine Zäsur bedeutete. So auch für Simone Rosenow.
„Es war eine Phase des Verdichtens“, sagt sie im Rückblick auf diese Zeit, die ja für uns alle von Rückzug, Enge und Einschränkungen geprägt war. Entstanden sind diese Werke, vor al-lem Kreidezeichnungen, zunächst in kleineren, dann auch in größeren Formaten.
Die Traumhalbheiten zeugen von einem anderen Stil, den sie inzwischen hinter sich gelassen hat: Stark kontrastierende pastose Farbflächen, in denen schemenhaft architektonische Mo-tive anklingen, heben sich vor einem wolkig-diffusen, hellen Hintergrund ab. In feinen schwarzen Konturen sind fingerartige Formen eingezeichnet, die sich zu einer engmaschigen Textur aneinanderreihen. Freie Liniengespinste tauchen auf – ihre „Kritzeleien“, wie sie sagt. Irgendwo weist ein kleiner Pfeil in ein zart umrissenes Quadrat. Ihre Komposition ist unruhig, dynamisch. Die Flächen und Formen durchdringen einander, sie sind in fortwährender Be-wegung übereinandergeschichtet. In den Bildgrund hinein öffnet sich eine unbestimmbare Tiefenräumlichkeit.
Mehrere Serien sind in diesem verdichteten Malstil entstanden, sie hat sie in ihren letzten Ausstellungen gezeigt. Für diese Ausstellung hat sie nur die zweiteilige Malerei Traumhalbheiten 2020 und Ohne Titel 2018 mitgebracht, als Referenz, wie ein Fenster zu ihrem vorherigen Schaffen.
Es folgte die Suche nach einem Weg, der sie herausführen sollte aus der Verdichtung, und heraus aus der von Corona geprägten Zeit. Sie hatte das Bedürfnis nach einer größeren Klarheit und Helligkeit – ironischerweise gerade als sie mit ihrem Atelier in engere Räumlichkei-ten umziehen musste. Während also im vergangenen Jahr in ihrem Atelier alles wieder enger wurde, folgte sie in ihrer Kunst dem Drang nach Offenheit.

Neue Eindrücke erhielt sie auf einer Studienreise nach Irland, wo sie neu sehen lernte, wie sie es beschreibt. Sie fertigte vor allem Landschafts-Farbstudien an, mit nur wenigen For-men, und Zeichnungen mit Graphitstift. Es entstand ein reicher Fundus an neuen Blättern, aus dem sie schöpfen und etwas Neues entwickeln konnte.
Sie sehen den neuen Weg: Sie hat die Tiefenräumlichkeit und die vielteiligen Überlagerun-gen zugunsten einer hellen Flächigkeit des Hintergrundes und wenigen, akzentuiert gesetz-ten Pinselstrichen aufgegeben.
Wer sie etwas näher kennt, weiß: Beim Malen und auch beim Zeichnen lässt sie sich gern von Musik tragen, am liebsten von Jazz- oder Klassik-Improvisationen. Nun ist das Zusam-menwirken von Musik und abstrakten Kompositionen eines der großen Themen in der Kunstgeschichte der Moderne.
Die Freundschaft zwischen Arnold Schönberg und Wassily Kandinsky zu Beginn des 20. Jahr-hunderts beispielsweise ist legendär. Während sich Schönberg von der Melodie und den traditionellen Kompositionsschemata löste und die völlig neue Zwölftontechnik entwickelte, löste sich Kandinsky vom abzubildenden Gegenstand und wurde einer der wichtigsten Mit-begründer der abstrakten Malerei. Von einer Wesensverwandtschaft der beiden Persönlichkeiten und ihrer Kunst ist die Rede, aber auch von einer elementaren Kongenialität der neu-en Musik und der abstrakten Kunst. Die Moderne brachte eine Emanzipation der Tonalität in der Musik und eine Emanzipation der Bildnerischen Mittel in der Malerei.
Ein Schlüsselerlebnis des 44-jährigen Kandinsky, so ist es überliefert, war der Besuch eines Schönberg-Konzerts in München im Jahr 1911. Unter diesem Eindruck ist seine Impression III (Konzert) entstanden. Es ist nicht sein erstes abstraktes Bild, aber seine eigene Schilderung veranschaulicht seine Intention: Er malt die schwarzen Umrisse eines Flügels, der von einer gelben Fläche umschlossen wird. Das, so beschreibt er, „wirkt so stark, dass es sich direkt vom Hintergrund befreit, in der Luft schwebt und ins Auge springt.“
Während ich diesen kunsthistorischen Bogen spanne, betrachten wir die Malereien von Si-mone Rosenow. Sucht man nach einer Verortung ihres Werkes in der Kunstgeschichte, so möchte ich es in diese Tradition stellen.
Kandinsky hat sein Lebenswerk der Suche nach einer neuen Art der Komposition und letzt-lich nach einem neuen Ausdruck des Seelischen gewidmet. Um diesem näher zu kommen, musste in dem künstlerischen Prozess der bewusste Wille umgangen werden – hier wurde das Fundament für eine neue Ästhetik bereitet, die Simone Rosenow und uns heute so ver-traut ist. Ich möchte Sie noch tiefer in die Gedankenwelt Kandinskys mitnehmen, mit der die Intentionen von Simone Rosenow eng verknüpft sind.
In seinem berühmten theoretischen Werk Punkt und Linie zu Fläche von 1926 analysiert Kandinsky die bildgestaltenden Elemente an sich und erläutert, was die Qualität einer guten Komposition ausmacht:
„Äußerlich ist jede einzelne zeichnerische oder malerische Form ein Element. Innerlich ist nicht diese Form selbst, sondern die in ihr lebende innere Spannung ein Element.

Und in der Tat materialisieren nicht die äußeren Formen den Inhalt eines malerischen Werkes, sondern die in diesen Formen lebenden Kräfte = Spannungen.
Wenn die Spannungen plötzlich auf eine Zauberart verschwinden oder sterben wür-den, wäre auch das lebendige Werk sofort tot.“
Schauen wir auf die Malereien von Simone Rosenow: Nicht nur die einzelnen Elemente selbst, sondern ihr Spannungsverhältnis zueinander machen das Bild aus. Die Farben sind – inspiriert von ihrer Irlandreise – bewusst gewählt, und die Pinselsetzungen beziehen sich aufeinander, sie begegnen sich und bedingen einander in der Gesamtkomposition. Jedes – auch zufällige – Detail vermag die innere Spannung zu beeinflussen.
Ein Pinselstrich ist schnell gesetzt, erklärt sie, aber er muss auch „sitzen“, sonst kann er die innere Harmonie und Spannung des Bildes zerstören. Sie arbeitet immer an mehreren Wer-ken parallel, um den Kompositionen Zeit zu geben – zum Trocknen und um ein wenig Distanz zu gewinnen und sie mit neuem Blick betrachten zu können.
Hat sich Simone Rosenow ihren künstlerischen Weg in eine neue Werkgruppe gebahnt, ent-stehen zunächst kleinformatigere Serien und eine Vielzahl einzelner Blätter. Türmen sich genügend Blätterstapel auf, kommt der Moment, in dem sie zu größeren Formaten wech-selt.
Kleinste Details können das Bild komplett verändern. Solche Details sind auch die für sie so typischen „Kritzel“, unwillkürlich und bedeutungslos erscheinende Elemente, die ihre Kom-positionen bereichern. Sie stehen letztlich für den Ausdruck einer inneren Dynamik: „Ich empfinde mein gesamtes Tun als Kritzeln“, hat sie mir erzählt und gelacht.
In ihren jüngsten Malereien hat sie zugunsten größerer Klarheit auf gezeichnete Formen ver-zichtet. Gleichzeitig ergänzt sie diese Ausstellung um reine Zeichnungen, die sie im OG aus-stellt.
Noch ein Zitat von Kandinsky:
„[Die Linie] ist die Spur des sich bewegenden Punktes, also sein Erzeugnis. Sie ist aus der Bewegung entstanden – und zwar durch Vernichtung der höchsten in sich ge-schlossenen Ruhe des Punktes. Hier wird der Sprung aus dem Statischen in das Dyna-mische gemacht.“
Wer sich mit seinen Originalschriften beschäftigt, weiß, dass solche Zusammenhänge alles andere als lapidar sind. Sie führen im Werk der Künstlerinnen und Künstler seit über einem Jahrhundert zu immer neuen abstrakten Kompositionen, zu einem unüberschaubaren und höchst komplexen Fundus.
Ein Punkt, der von einem Pinsel oder einem Stift aufs Papier und in Bewegung gesetzt wird, das ist auch der Ursprung der Kalligrafie. Auch hier geht es um hohe ästhetische Ansprüche, der Begriff ist vom griechischen kállos für Schönheit abgeleitet.
Löst sich die Kalligrafie, die Kunst des schönen Schreibens, vom Inhalt, vom aussagekräftigen Text, haben wir den gleichen Emanzipationsprozess der Ausdrucksmittel wie in der Malerei oder der Musik.

Im Obergeschoss sind Grafitzeichnungen ausgestellt, welche die Anmut und Poesie von Schriftblättern ausstrahlen und doch abstrakt bleiben. Kalligrafie und später Kalligrafie als experimentelle Bildgestaltung war schon ein Schwerpunkt in ihrem Kunststudium. Simone Rosenow hat viel mit Handschriften experimentiert und sie dabei bis in die Unleserlichkeit getrieben. Sie versteht ihre Schriftzüge als abstrakte Kompositionen von Linien und Zwi-schenräumen, in einem Durchgang fertiggestellt, ohne Korrekturen.
Die skripturalen Formationen von Simone Rosenow stehen in der Tradition der Écriture Au-tomatique, die wir von André Breton aus dem Surrealismus kennen: Möglichst ohne kogniti-ve Reflexion wird ein freier Ausdruck für innere Bilder und Stimmungen gefunden, wie Traumbilder, die in intuitiven kurzen Skizzen festgehalten werden. Sie können diese Textstü-cke mit Ihren eigenen Assoziationen verknüpfen. Oder Sie können jede Zeichnung als reizvol-le, abstrakte Formation lesen, die allein durch ihre Schönheit und ihre innere Spannung be-sticht.
Vielen Dank!